Lebe lieber gewöhnlich

Kriz-Projekt "Baby-Bedenkzeit"

In Findorff hat der Martinsclub Bremens erste inklusive WG gegründet

Die Kartons sind ausgepackt und die Zimmer eingerichtet: Acht junge Menschen haben das Haus in der Delbrückstraße in Bremen-Findorff bezogen. Die Tagesroutine ist schon angelaufen: Morgens frühstückt die WG zusammen, dann geht es zur Arbeit, zur Uni oder zur Ausbildung. Nachmittags und abends füllen sich der Gemeinschaftsraum mit der riesigen Couch und die Küche mit Leben. Abends wird auch mal zusammen gekocht. Wie es sich für eine WG gehört, sind Nudeln sehr gefragt. Ein ganz normales WG-Leben also – nur die Zusammenstellung hat es in Bremen so noch nicht gegeben.

Der Martinsclub hat eine inklusive Wohngemeinschaft mitten in der Stadt gegründet. Vier Studierende, vier Menschen mit Beeinträchtigung, Die Wohnung ist ca. 260 Quadratmeter groß. Jeder hat sein eigenes Zimmer. Die Bewohner mit Beeinträchtigung stehen mitten im Leben, gehen zur Arbeit, machen eine Ausbildung und werden von den Studierenden unterstützt. Die Studierenden erfahren eine persönliche Bereicherung und verdienen sich etwas Geld dazu. Dafür werfen sie ein Auge auf ihre Mitbewohner: Ist er oder sie schon wach, ist der Kühlschrank gefüllt, gehen wir zusammen einkaufen? Für pflegerische oder pädagogische Belange sind die StudentInnen allerdings nicht zuständig.


Unterstützt wird die WG durch eine pädagogische Begleitung. Anne Skwara-Harms kommt zu den WG-Besprechungen und ist die erste Ansprechpartnerin für die Angehörigen der Mitbewohner mit Beeinträchtigung und für Themen wie dem Gang zum Arzt oder Problemen des Alltags. „Wie sich die pädagogische Begleitung in Zukunft genau gestaltet, entscheiden wir zusammen“, sagt Skwara-Harms.

 

Ein soziales Ausbildungs- oder Arbeitsfeld war keine Voraussetzung für den Einzug – was bei der Suche eher zählte, war die Chemie. „Wir haben im Vorfeld oft zusammengesessen und über das WG-Leben gesprochen. Ich glaube, dass die einzelnen Mitbewohner total gut zueinander passen“, freut sich Nico Oppel, Fachleiter des Leistungsbereichs Wohnen im Martinsclub und Projekt-Initiator: „Für den Martinsclub bedeutet das einen weiteren Baustein für inklusives Wohnen im Stadtteil und eine gute Möglichkeit für junge Erwachsene, sich auszuprobieren.

Das Anliegen hinter der WG: „Jeder Mensch soll die Möglichkeit haben, so zu wohnen, wie er oder sie will – zum Beispiel eben auch in einer WG nach dem Auszug bei den Eltern. Für viele Mitbewohner bedeutet dieser Einzug den ersten Schritt in die Selbstständigkeit fernab des Elternhauses. Auch andere Beweggründe spielen eine Rolle: „Das bringt mir Freude, hier zu wohnen – und ich kann auch mal andere Leute kennenlernen“, sagt Enrico Monti. „Ich bin hier eingezogen, weil ich genug hatte von Zweck-WGs. Schon nach drei Wochen merkt man, dass wir uns hier alle total gut verstehen“ freut sich Katharina von Eitzen. Jeder hat gleich viel zu sagen. Und es kann viel gemeinsam unternommen werden: Zusammen kochen, das Haus verschönern, einen Ausflug oder ein Grillfest planen. Ein ganz normaler WG-Alltag eben.

Auch der Landesbehindertenbeauftragte Dr. Joachim Steinbrück steht dem Projekt sehr positiv gegenüber. „Ich glaube, dass solche Wohnformen Chancen eröffnen, dass man viel mehr nach seinen Wünschen und Bedürfnissen leben kann“, so Steinbrück. Sein Tipp für die WG, wenn es mal Probleme gibt: „Humor hilft“.

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